Das Johannisfeuer, eine Geschichte von Gerda Schmidt
Jeremias schaute zornig dem Mann mit dem weißen Kaftan hinterher. Seit
dieser Prediger ganze Massen von Menschen an den See lockte, wurde das
Fischen immer schwieriger. Vor allem vertrieben sie die großen Barben, wenn
sie zum Baden und Taufen in das Wasser stiegen. Wie schaffte es der Kerl,
dass sich die Fische trotzdem um seine Füße scharrten, und er nur nach ihnen
zu greifen brauchte. Er konnte damit die Anwesenden notdürftig speisen.
Damit verloren er und seine Brüder aber auch Käufer seiner Waren. Er musste
unbedingt etwas unternehmen.
Nun rief er alle Fischer rings um sein Dorf zusammen und wollte mit ihnen
eine Lösung finden.
„Hört her, Fischer des Sees Genezareth. Dort drüben verdirbt uns dieser
Wahnsinnige das Geschäft. Wir müssen etwas unternehmen.“
Aufgebrachtes Geschrei bestätigte Jeremias Zorn und jeder pflichtete ihm
bei. Da ergriff sein Cousin Timotheus das Wort.
„Wie ich hörte heißt er Johannes und nennt sich der Täufer. Er behauptet auf
einem Christus zu warten.“
Auch sein Bruder Mathias hatte Gerüchte über den hageren Mann gehört.
„Er verkündet die Ankunft eines Erlösers und sagt es sei Gottes Sohn.“
„Das ist ja Gotteslästerung“ schrieen mehrere durcheinander.
Jeremias wollte diesen Moment der Erregung nutzen und schlug folgendes vor.
„Brüder und Gleichgesinnte, was haltet ihr davon, wenn wir ihn fangen und
töten? Es wäre die einzige Lösung für unsere Misere.“
Jetzt verstummten alle und schauten fragend zu Jeremias auf, der sich auf
die Rahe seines runtergelassenen Segels gestellt hatte, damit er alle
überragte.
„Wie willst Du das denn bewerkstelligen? Johannes hält sich den ganzen Tag
über am Wasser auf und dort können uns hunderte von Leuten sehen,“ wollte
David, der jüngste Fischer wissen. Er traute sich sowieso niemals etwas
Strafbares zu tun.
Jeremias hob an und erklärte seinen Kollegen den Plan, den er letzte Nacht
ausgearbeitet hatte.
„Jemand wird ihm eine Nachricht überbringen, dass er um Mitternacht in der
Wüste erwartet wird. Es sei geheim und wichtig. Michael erscheint mir dafür
am geeignetesten, da sein Vater hohes Ansehen im Dorf genießt.“
Alle schauten sich zu Michael um, der verlegen von einem Fuß auf den anderen
trat. Er hatte noch nie eine wichtige Aufgabe erledigt.
Jeremias erläuterte weiter seinen Plan.
„Wir werden uns alle in den Dünen verstecken. Wenn dieser Johannes kommt und
der ersten ihn sieht, so soll er ein Feuer entfachen. Dann können die
anderen zu ihn stoßen und wir werden ihn gemeinsam fangen und zu Tode
steinigen.“
Alle waren verblüfft und hießen diesen Plan gut. Als sich der Dorfälteste
ihrer Gruppe näherte, lösten sie die Versammlung schlagartig auf. Jeremias
rief ihnen noch schnell zu, dass sie das Treffen heute Abend nicht vergessen
sollten und Michael wünschte er viel Glück und Überzeugungskraft.
Am Abend, als es bereits dämmerte, lief Michael eilig auf den bärtigen Mann
zu, der in seinem ungewaschenen Kaftan sehr ungepflegt aussah. Als er etwa
einen Meter von ihm entfernt stand, sah er dass der Prediger in ein Gebet
versunken war. Irgend etwas faszinierte ihn an der Ausstrahlung des Mannes.
Dann sprach er ihn an.
„Ihr seit doch Johannes, genannt der Täufer?“
„Der bin ich. Ein Mensch, der es nicht wert ist, den Namen des Herrn in den
Mund zu nehmen,“ antwortete Johannes.
„Ich soll Euch eine Nachricht überbringen. Es ist eilig. Ihr sollt Euch
gegen Mitternacht in der Wüste hinter der kleinen Oase mit einem Mann
treffen. Seid pünktlich.“ Dann drehte sich Michael um und verschwand genauso
schnell, wie er gekommen war. Johannes schaute ihm nach und dachte nur, wenn
es Gottes Wille ist, so will er dem gerne nachkommen.
Etwa eine Stunde vor Mitternacht machte sich Johannes, der Täufer auf den
Weg, den geheimnisvollen Fremden in der Wüste zu treffen. Da er sich gut
auskannte, wusste er genau, welchen Weg er einschlagen musste.
Sandverwehungen machten den Weg bisweilen mühsam und schwer. Da er jedoch
regelmäßig diesen Weg zur Meditation in der endlosen Stille wählte, kannte
er die festen Untergründe dieser todbringenden Weite. Flink, wie ein
Sandläufer marschierte er auf sein Ziel hin.
Inzwischen hatten sich die Fischer in den Dünen versteckt. Alle hatten ein Bündel Reisig dabei, das sie im rechten Augenblick entzünden konnten. Jeder hoffte dabei der erste zu sein, der die Botschaft der Gefangennahme weiterleiten durfte. Doch die Nacht brachte auch Kälte mit, wie sie in der Wüste üblich war. Es bildeten sich sogar Nebel, die die Sicht beeinträchtigte. Durch den leichten Wind, der ging, waberten die Nebelschwaden so stark, dass man sie nicht von tatsächlichen Bewegungen unterscheiden konnte. Thomas war so stark irritiert, dass er sich entschloss sein mitgebrachtes Reisig zu entzünden. Doch als er aufsah entdeckte er bereits zwei weitere Feuer. Als er auf die nächste Düne stieg konnte er eine große Anzahl von Feuern erkennen. Deshalb rannte er los, um den anderen zu helfen. Aber als er das nächste Feuer erreichte fand er dort niemanden vor. Es wurden immer mehr Feuer entfacht. Er wusste gar nicht, dass sich so viele Fischer vereint hatten. Als er endlich drei seiner Kollegen und Brüder über den Weg lief, stellten alle fest, dass jeder daselbe getan hatte. Die Wüste war beinahe so erhellt wie bei Tag. Nur Johannes konnte man nirgends erblicken. Am Himmel gesellten sich noch unzählige, hell leuchtende Sterne dazu. Johannes jedoch hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und versteckte sich bis zum nächsten Morgen in einer kleinen Höhle unter einer Düne.
Somit retteten die Feuer das Leben von Johannes, dem Täufer und seit unzähligen Zeiten feiert man diesen Tag als Johannistag, an dem die Johannisfeuer entfacht werden. Die vielen Lichter die genau ein halbes Jahr vor Weihnachten erleuchten gaben ihm auch den Namen Sommerweihnacht. Zu diesem Zeitpunkt findet auch die Sonnenwende statt, weshalb diese Feuer auch Sonnwendfeuer genannt werden. Dies ist ein heidnischer Brauch, der das Jahr in zwei Teile teilt.
Quelle:
Autorin: Gerda Schmidt
Titel: Das Johannisfeuer
2, rue Chancel, F-68330 Huningue
Copyright by Gerda Schmidt
eulenschreibkleckse@gmx.de
http://eulenschreibkleckse.de/
Date: Tue, 14 Jun 2005 18:23:19 +0200 (MEST)
Leider habe ich für diese Seite noch keine weiteren Informationen und Bilder und bitte um Mithilfe
Infos, Bräuche aus ihrer Region hinzufügen