Die Weihnachtsmadonna von Pronsfeld (Teil 2)


Die Madonna von Stalingrad -

Die Madonna von Stalingrad
Seit 1957 ist sie auch in Pronsfeld "beheimatet" - Teil 2: Wie das Bild entstanden ist
Selbstbildnis Kurt Reuber
Zu einem der bedeutendsten Zeugnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zählt die Stalingrad-Madonna, die auch in der alten Remigius-Pfarrkirche in unserem Pfarrort "verewigt" ist. Kriegsleid und Weihnachtsfreud - beides vereinigt sich in diesem eindrucksvollen Bildnis.
Zu diesem Kunstwerk, das ich bereits im letzten Jahr vorgestellt habe, möchte ich im Folgenden weitere Informationen geben.

Der Schöpfer dieses Bildes war Dr. med. Dr. theol. Kurt Reuber (* 26. Mai 1906 in Kassel; † 20. Januar 1944 im russischen Kriegsgefangenenlager Jelabuga - einer Kleinstadt der Teilrepublik Tatarstan, westlich des Uralgebirges). Reuber war evangelischer Pfarrer sowie Arzt und wurde durch seine Kohlezeichnungen "Madonna von Stalingrad" und "Gefangenenmadonna" weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt.

Kurt Reuber wuchs in Kassel auf und studierte nach dem Abitur in Bethel, Tübingen und Marburg Theologie. Nach Abschluss des Studiums (1930) übernahm er in Loshausen und etwas später in Marburg eine Vikariatsstelle. Bereits 1933 promovierte Kurt Reuber in Marburg zum Doktor der Theologie und übernahm noch im gleichen Jahr die Pfarrstelle von Wichmannshausen/ Werra-Meißner-Kreis. Parallel zur Pfarrerstätigkeit absolvierte Kurt Reuber an der Uni Göttingen noch ein Medizinstudium und promovierte 1938 zum Dr. med.

1939 erhielt Dr. Reuber den Einberufungsbefehl zum Heeresdienst der Wehrmacht. Zunächst wurde er im Balkankrieg, ab 1941 im Rußlandfeldzug und ab November 1942 als Truppenarzt in Stalingrad (16. Panzerdivision) eingesetzt. Die Schlacht von Stalingrad begann im August 1942 mit einem Angriff der 6. Armee unter General Friedrich Paulus. Mitte November waren ca. 90% der Stadt erobert. Während sich die deutschen Truppen auf Befehl Hitlers in erbittert geführten Häuser- und Straßenkämpfen verzettelten, umzingelte die Rote Armee in einer Großoffensive Stalingrad. Am 22. November 1942 war die 6. Armee vollständig eingekesselt und von allen Nachschubwegen abgeschnitten. Es gab lediglich eine völlig unzureichende Versorgung aus der Luft. So betrug z.B. die tägliche Lebensmittelration zwei Schnitten Brot, ein wenig Tee und hin und wieder eine dünne Suppe, und das bei -40°C. Ein Vorschlag der Generalität, in Richtung Westen einen Ausbruchsversuch aus dem Kessel zu unternehmen, wurde von Hitler aus ideologischen Gründen abgelehnt. Mit einem am 23. Dezember 1942 herausgegebenen "Durchhaltebefehl" überließ Hitler die 6. Armee ihrem unausweichlichen Schicksal. Ende Januar 1943 endete das Desaster durch die Kapitulation der deutschen Truppen. 150.000 deutsche Soldaten waren im Kessel gefallen, so dass ca. 90.000 Soldaten - unter ihnen auch Oberarzt Dr. med. lic. theol. Kurt Reuber - in russische Gefangenschaft gerieten. Nur 6000 davon haben überlebt und sind in der Nachkriegszeit schubweise - die Letzten 1956 - nach Deutschland heimgekehrt. Dr. Reuber ist bereits am 20. Januar 1944 im Alter von nur 37 Jahren im Kriegsgefangenenlager Jelabuga an einer schweren Krankheit gestorben.
Dr. Reuber war nicht nur Arzt und Theologe, sondern auch ein hochbegabter Maler. In der Vorweihnachtszeit 1942 - die Rote Armee hatte Stalingrad bereits vollständig eingeschlossen - zeichnete er mit Kohle auf der Rückseite einer ca. 90 mal 130 cm großen Russlandkarte der deutschen Wehrmacht in seiner primitiven Unterkunft ein Madonnenbild - Mutter mit Kind. Für Heiligabend hatten die beiden kriegführenden Seiten "stillschweigend" einen Waffenstillstand vereinbart. Es herrschte eine gespenstische fast unheimliche Stille. In den besetzten Häusern begingen Soldaten und Zivilbevölkerung bei Kerzenlicht das Weihnachtsfest, jeder für sich und auf seine Weise. Dr. Kurt Reuber und seine Kameraden hatten sich in "seinem Bunker" zu einer "Weihnachtsfeier" eingefunden. Völlig ergriffen verharrten die Männer vor dem Bildnis einer Mutter, die in ihrem weiten Mantel ihr Kind beschützt. Den Anwesenden war die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation völlig bewusst, aber trotz Hunger und Kälte ließ sie diese Zeichnung für einige Stunden Hoffnung schöpfen - Hoffnung, dass der sinnlose Krieg zu einem raschen Ende kommen möge. Der Bunker wurde für die Soldaten in den darauffolgenden Tagen zu einer Art "Wallfahrtsort". Dass das Madonnenbild der Nachwelt erhalten blieb, ist der schweren Erkrankung eines Bataillons-Kommandeurs der 16. Panzerdivision zu verdanken. Er wurde in der ersten Januarwoche 1943 - mit einer der immer seltener eintreffenden Logistikmaschinen - aus dem Kessel ausgeflogen und brachte die Kohlezeichnung sowie einen letzten Brief Dr. Reubers an seine Familie wohlbehalten nach Deutschland. Das Bild ist später unter dem Namen "Madonna von Stalingrad" weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden. In zahlreichen Kirchen Europas befinden sich Kopien des Madonnenbildes, so auch in der Kirche zu Wichmannshausen / Werra-Meißner-Kreis und der Auferstehungskirche in Kassel. Das Original hat Kurt Reubers Sohn Erdwin im Beisein von Familienmitgliedern und zahlreicher Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben am 26. August 1983 im Rahmen einer Feierstunde an das Kuratorium der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin zum dauernden Verbleib übergeben. Dr. Reubers "Madonna von Stalingrad" befindet sich seitdem als ein Zeichen der Versöhnung neben der "Märtyrer-Gedenktafel 1933 bis 1945" in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.

Wie das Bild entstanden ist, kann niemand besser beschreiben als Kurt Reuber selbst. Seine Aufzeichnungen aus Stalingrad: "Dann habe ich für den Generals-, die sechs Mannschafts- und die beiden Offiziersbunker gemalt - ich habe lange bedacht, was ich malen sollte - und dabei herausgekommen ist eine "Madonna" oder Mutter mit Kind. Ach, könnte ich sie so gestalten, wie die Intuition es möchte! Meine Lehmhöhle verwandelte sich in ein Atelier. Dieser einzige Raum, kein nötiger Abstand vom Bild möglich! Dazu musste ich auf mein Bretterlager oder auf den Schemel steigen und von oben auf das Bild schauen. Dauerndes Anstoßen, Hinfallen, Verschwinden der Stifte in den Lehmspalten. Für die große Madonnenzeichnung keine rechte Unterlage. Nur ein schräggestellter, selbstgezimmerter Tisch, um den man sich herumquetschen musste, mangelhaftes Material, als Papier eine russische Landkarte. Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen. "Geborgenheit" und "Umschließung" von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte in den Sinn: Licht, Leben, Liebe. - Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt - in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe, die so unendlich groß ist, in jedem von uns ..." . Das liest sich so, als flössen nun die Tränen bei dem hochbegabten Maler und Arzt...

Im Dezember 1943 zeichnete Dr. Kurt Reuber im Kriegsgefangenenlager Jelabuga für die Lagerzeitung eine zweite Madonna, die wieder die gleichen Worte verkündete: "Licht, Leben, Liebe". Nur wenige Wochen danach verstarb Kurt Reuber im Lager Jelabuga. Sein letztes Werk erhielt später den Namen "Gefangenen-Madonna". Auch dieses Werk gelangte nach Deutschland und wurde an Kurt Reubers Ehefrau übergeben, zugleich mit der traurigen Nachricht, dass ihr Mann die Qualen im Lager Jelabuga nicht überlebt hatte. Eine Kopie der Kohlezeichnung "Gefangenen-Madonna" befindet sich seit 2004 in der Auferstehungskirche Kassel.

Neben den zwei bekannten Kohlezeichnungen "Madonna von Stalingrad" und "Gefangenen-Madonna" gibt es schätzungsweise weitere 200 Zeichnungen, Aquarelle und auch einige Ölgemälde von Dr. Reuber, u.a. auch das Selbstbildnis.
Joachim Schröder (Nov.2010)

Mit freundlicher Unterstützung von Joachim Schröder
Titel: Die Weihnachtsmadonna von Pronsfeld
Autor: Joachim Schröder
Copyright: © by Joachim Schröder
gepostet von Joachim Schröder am:
Date: 18.11.2010 17:53
Internet: www.joachim-schroeder.com


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