Remkerslebener Erntekronen ( Sachsen Anhalt/ Bördekreis)
Ein Bericht über die traditionelle Fertigung einer Erntekrone im Jahr 2008
Nach einer Geburtstagsfeier in einer über 100 Jahre alten Scheune meines ehemaligen
Vierseitenhofes, lobten uns die Gäste für die gelungene Ausgestaltung.
Mit einer dekorativen Deckengestaltung aus Weidenruten, bunten Bändern
Kunstsonnenblumen und Lämpchen war es uns gelungen die alten Dachziegel zu kaschieren.
Irgendjemand sagte: „da fehlt nur noch eine traditionelle Erntekrone“. Und dieser Hinweis
inspirierte mich als Hobbyhandwerker sofort für die Herstellung einer eigenen Kreation.
Im Internet suchte ich sofort nach einer Bauanleitung, leider vergeblich!
Unter www.Brauchtumsseiten.de“ fand ich nur den Hinweis, dass ein solcher Beitrag noch gesucht
wird.
Zum Glück las ich den Oscherslebener Generalanzeiger, wo Landfrau Dorothea Wienert
einen kleinen Hinweis dazu brachte.
Schnell hatte ich nach einem Telefonanruf die Adresse des Remkerslebener
Landesfrauenvereins zur Hand, die auf dem Grundstück der Fam. Dieter Kaczenski seit vier
Jahren fleißig Erntekronen für Wettbewerbe, Institutionen und gut bekannte Persönlichkeiten,
herstellen.
Schon am Telefon erhielt ich einen ersten Überblick:
Erntekronen hängen in der Zwischenzeit im Amt für Landwirtschaft und Flurordnung in
Wanzleben, in der Cafeteria des Pflegeheimes Kloster Meyendorf und im ehemaligen
Landratsamt Oschersleben. Auch Bischof Noack bestellte sich nach einer Vorortbesichtigung
eine traditionell hergestellte Erntekrone. Zum Handwerk der Landfrauen gehörte auch eine
Richtkrone für das neu erbaute Friedensfahrtsmuseum in Klein-Mühlingen, die der ehemalige
Radweltmeister Täve Schur bestellt hatte.
Nach einer zaghaften Frage: „ darf ich auch eine Krone bekommen“? erhielt ich eine positive
Antwort, und schon am 6. August durfte ich beim Bau meiner eigenen Erntekrone zuschauen.
Eine zweite Erntekrone für den Magdeburger Dom stand noch im Rohgerüst.
Die Remkerslebener Landfrauen erläuterten mir zunächst die Hauptziele des Vereins, welche
u. a. in der Traditionspflege im ländlichen Bereich liegen. Sie möchten ihr Wissen demnächst
auch an den Schulen zeigen. Erste Kontakte wurden bereits aufgenommen.
Mit dem Binden von Erntekronen wurde auch ein Brauch um das Erntedankfest aufgegriffen
Die Kirche dankt am Erntedankfest Gott für die Gaben der Schöpfung. Schließlich gilt
unverändert die alte Volksweisheit: „An Gottes Segen ist alles gelegen“. Selbst in einer Zeit
industrieller Produktionsweisen in der Landwirtschaft ist es für die Menschen in den reichen
Ländern der Welt sinnvoll, zum Abschluss der Ernte dafür Dank zu sagen, dass ausreichend
Nahrung für alle da ist. Daran will der Erntedank-Sonntag erinnern“.
1)
Das Erntedankfest feierte man von je her nach dem Einbringen des letzten Getreidefuders und
es wurde der Erntekranz oder die Erntekrone gebunden. Gern erinnere ich mich hier auch an
meine Kindheit in Deesdorf wo das Erntefest immer tüchtig bei Grützemachers auf dem Hof
gefeiert wurde – natürlich der Zeit entsprechend sozialistisch angehaucht, ohne kirchliche
Hintergrundgedanken. Wichtig war vor allem das Erntebier!
Jetzt haben sich die Zeiten wieder geändert und die Landfrauen versuchen altes Wissen
auszugraben, sinnvolle Traditionen zu beleben, zu pflegen und somit zu bewahren.
Viele Handhabungen brachte Frau Jutta Hartwich ein, die in jungen Jahren der Mutter über
die Schulter schaute.
Höhepunkt der jährlichen Arbeit ist die Kür der schönsten Erntekrone auf den
Erntekronenfesten der Ortsvereine, die in diesem Jahr in Ottleben stattfindet, so Frau
Kaczenski. Mit diesem Hinweis wurde mein Warten auf meine Erntekrone verlängert und wie
sich ein Monat später herausstellte, ging sie nach dem Sieg in Ottleben, zusammen mit der
„Dom-Krone“ zum 14. Erntedankfest des Landes Sachsen Anhalt in Magdeburg, wo sie von
zwölf ausgestellten Erntekronen Platz drei und vier errangen. Erst am 20 September hing
„Platz Vier“ in der Scheune meines Anwesens und erinnert an die über 400 Jahre lange
bäuerliche Tradition meiner Vorfahren.
Der Weg zu diesem Platz war augenscheinlich von geduldiger Arbeit und handwerklichen
Geschick geprägt und zudem mussten etliche Regeln beachtet werden.
Während der Tätigkeiten am 6. August, bei der sich auch noch Sabrina Krug von der
Volksstimme hinzugesellte, erfuhr ich folgendes:
Die Ähren müssen so gebunden werden, wie sie gewachsen sind – eine Manipulation durch
das Einflechten von künstlichen Blumen oder gar eine Konservierung mittels Haarspray ist
nicht statthaft.
Sie müssen zudem stets mit der Ähre nach oben gebunden werden, sonst wird die kommende
Ernte durch ein Unwetter zerstört, so eine Überlieferung.
Die erste Getreideart steht gegenüber der letzten Getreideart. Ein Kranz wird von Westen
nach Osten in Richtung des Kirchganges gebunden.
Die Bänder zum Verzieren haben eine bestimmte Symbolik:
Sie tragen u.a. die Farben der Feldblumen; grün steht für die Blätter/ Landwirtschaft/ Natur,
blau für die Kornblumen/ Himmel/ Wasser, rot für den Mohn/ reife Früchte, gelb für die
Trollblumen/ Sonne, Getreide, weiß für die Margariten, und braun steht für Erde und Brot.
Die Bänder in der Mitte der Krone stehen für den Glockenschlegel, der das Erntedankfest
einläutet. Über die Länge der Bänder geben die Abbildungen 1, 15, 19 - 21 Auskunft.
Bisher unbekannt war mir der traditionelle Ursprung der Kronenform. Jeder der vier
senkrechten Kronenstränge verweist auf eine der vier Hauptgetreidearten der Magdeburger
Börde.
Der untere Kranz, optisch durch die Stränge geteilt, zeichnet die Gemeinsamkeit der vier
Seiten aus und wird je nach Wunsch mit den zugehörigen Spruchbändern: Hoffnung, Glaube,
Sorge, Dank, dekoriert (vergl. Abb. 2).
Hinter diesen vier Begriffen verbirgt sich bäuerlich/ kirchliches Gedankengut:
- Hoffnung (auf eine gute Ernte),
- Glaube (Glaube des Bauern an seine Arbeit),
- Sorge (Sorge des Bauern um seine Ernte),
- Dank“ (Dank des Bauern um eine gute Ernte),
Nach einer Stunde Erntekronen-Schulung war ich vom Gesamtablauf der Herstellung,
angefangen von der Ernte, der Trocknung, und den handwerklichen Fertigkeiten sehr
überrascht und notierte mir alles für diesen Bericht:
1) Von Pressestelle des Bistums Aachen
2) Triticale (x Triticosecale) ist ein Getreide. Es ist eine Kreuzung aus Weizen (Triticum aestivum L.) als weiblichem und Roggen (Secale
cereale L.) als männlichem Partner. Der Name ist aus TRITIcum und seCALE zusammengesetzt. Die umgekehrte Kreuzung ergibt
Secalotricum. Geschmack und Inhaltsstoffe der Triticale liegen zwischen denen von Weizen und Roggen. (Auszug aus dem Internetportal Wikipedia)
Ablauf im Einzelnen:
1. Es werden folgende Werkzeuge und Materialien benötigt:
- Schere,
- Band zum Aufhängen der Ährenbüschel,
- Bindedraht,
- Gestell aus geschälter Weide; Durchmesser 50 cm, Höhe 58 cm (am besten beim
Korbmacher fertigen lassen) Stärke der Weidenruten ca. 2 cm,
- Öse aus Draht zum Aufhängen der Erntekrone,
- Verschiedene Schleifenbänder; Farben je nach Wunsch,
2. Ernte
Die vier Getreidearten:
- Wintergerste,
- Weizen,
- Hafer,
- und Triticale (eine Kreuzung aus Weizen und Roggen2) ) oder Roggen
werden in der Magdeburger Börde traditionell zum Binden der Erntekrone verwendet.
Für die Remkerslebener Landfrauen spendet Bauer Heinrich Gaßmann aus Seehausen das
benötigte Getreide, da er im Gegenzug eine schöne Erntekrone erhält. Beim Schneiden der
Getreideähren mit der Schere ist vor allem auf eine gute Qualität zu achten. Man muss den
genauen Zeitpunkt der Goldgelb-Reife abpassen. Dunkle und verstockte Stellen darf es nicht
geben. Es werden bei einer mittelgroßen Krone ca. 20 bis 25 Kg. Ähren benötigt; so ca. 5 Kg.
von jeder Sorte.
Damit die Ähren gut trocknen können, werden sie zu kleinen Büscheln (soviel wie eine Hand
fassen kann/ vergl. auch Abb. 3 u. 6 ) gebündelt und einzeln in einem spatzensicheren,
luftigen Schuppen getrocknet. Der erste Schnitt erfolgt bei der Gerste bereits im Juni, danach
kommen je nach Witterung, Hafer Weizen und Triticale an die
Reihe.
3. Das Binden der Krone
Zunächst nehme man sich für eine mittlere Erntekrone mit ca. 2
Personen ungefähr 10-12 Stunden Zeit, um zu einem guten Ergebnis zu kommen.
Günstig ist es, wenn man die Arbeiten an einem schattigen Platz im Freien verrichten kann,
denn ein Herabrieseln von Spelzen und abgeschnittenen Halmen lässt sich nicht vermeiden.
Eine weitere Voraussetzung ist das Vorhandensein eines stabilen Kronengestells (vergl. Abb.
8-10), welches bisher immer der Korbmacher Loof aus Beckendorf für die Landfrauen
gefertigt hat. Mit einigem Geschick kann man solche Kronenform aber auch selbst herstellen,
da man später von den Holzteilen nichts mehr sieht. Auch im Internet kann man sich schon
fertige Gestelle, allerdings aus Metall, bestellen. Bei solchen Gestellen geht aber die
Natürlichkeit und die Tradition verloren und zudem ist die Befestigung am glatten und relativ
dünnen Metallstab als schwierig einzuschätzen. Zu beachten ist jedoch die Form des oberen
Kronenbogens, der nicht zu spitz ausfallen darf. Ein gewisses Fehling ist hier schon
angebracht. Das Verhältnis von Durchmesser des unteren Kranzes zur Höhe soll 3:4 sein.
Im ersten Arbeitsschritt werden Ährenbüschel, bestehend aus jeweils 10 einzelnen Ähren, an
den 4 Strängen des Erntekronengestelles mittels Bindedraht befestigt. Man beginnt stets oben
und arbeitet sich kreisförmig und gefächert nach unten hin durch (vergl. Abb. 13).
Gleichmäßigkeit ist dabei angesagt. Lücken und Ausfransungen dürfen nicht zu sehen sein.
Die Ähren, die zuvor „unter der Hand“ abgeschnitten und von getrockneten Restblättern
befreit wurden (vergl. Abb.11), zeigen dabei stets nach oben. An jeden Strang wird nur eine
Getreidesorte angedrahtet.
Erfahrungsgemäß benötigt man ca. 100 Büschel einer Getreideart für jeden Strang, folglich
annähernd 4000 Ähren für die senkrechten Stränge. Der Umfang eines jeden Stranges liegt
nach Fertigstellung bei 20 cm (vergl. Abb. 14 u. 16).
Es ist dementsprechend zu beachten, dass man 20 cm oberhalb des waagerecht liegenden
Weidenringes keine Ähren mehr anbindet, da dieser Platz für den unteren kreisförmigen
Ährenkranz benötigt wird (vergl. Abb. 12). Um Rückenschmerzen vorzubeugen ist es ratsam
eine entsprechende Hängevorrichtung vorzuhalten, damit die Krone beim Binden etwas
schräg und in Arbeitshöhe hängt.
Beim Binden ist dem Hafer eine besondere Beachtung zu schenken, denn er neigt bei zu
langen Schnitt zum abknicken. Er wird deshalb kürzer als eine handbreite unterhalb der Ähre
abgeschnitten und dichter gebunden. Nach Fertigstellung der vier Stränge wird der untere
Kranz aus allen vier Getreidesorten gebunden. Die 10er Büschel werden also gemischt und
gleichmäßig festgeschnürt (Abb. 17).
4. Der letzte Schliff - die Schleifenbänder
Die Schleifenbänder geben der Krone den letzten Schliff. Sie werden am unteren Kranz,
jeweils in Höhe der senkrechten Stränge befestigt. Insgesamt also vier (vergl. Abb.15, 19-21).
Bei ganz großen Kronen kann eine in der Kronenmitte, sozusagen als „Klöppel“
hinzukommen (vergl. Abb. 18 u. 19).
Für jede einzelne Schleife benötigt man insgesamt ca.1½ m verschiedenfarbige Schleifenbänder
von 3-4 cm Breite. Sie werden auf ca. 50 cm Länge zusammengelegt und mit Daumen und
Zeigefinger (ca.12 cm von oben) zusammengehalten (vergl. Abb. 1). Nun werden sie mit
einem 5mm breiten Schleifenband zusammengeknotet und am Kranz befestigt.
Die Farben der Schleifen sollten wie schon vermerkt, den natürlichen Feldblumenfarben
entsprechen.
Mit freundlicher Unterstützung von Ralf Staufenbiel
Titel: Ein Bericht über die traditionelle Fertigung einer Erntekrone im Jahr 2008
Text/Bilder: Ralf Staufenbiel
Autor: Ralf Staufenbiel
Copyright: Ralf Staufenbiel
gepostet von Ralf Staufenbiel am:
Date: Sun, 28 Sep 2008 14:57:18 +0200
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Abbildung 1 : Landfrauen von Remkersleben beim Binden meiner Erntekrone. V.l.n.r.: Birgit Kaczenski, Andrea
Giese, Sylvia Junge, Jutta Hartwich. Frau Hartwich zeigt gerade das Binden einer Schleife.
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