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14 Nothelfer in Oberlarg
von Albert Spycher-Gautschi

14 Nothelfer in Oberlarg
Impressionen aus dem Elsässer Jura

von Albert Spycher-Gautschi

Nachdem auf der Brauchtumsseite "Zur Hohen Muttergottes - Notre Dame du Haut" vom Mariae Himmelfahrt-Gottesdienst der kleinen Sundgauer Gemeinde Oberlarg die Rede war, Bild 1  -  Claerr-Stamm Gabrielle: Les Saints guérisseurs du Sundgau, in: Découvrir le Sundgau - La médecine des hommes et des bêtes autrefois, Riedisheim 2004. kommen wir in diesem Beitrag zum Fest der Vierzehn Heiligen Nothelfer (Quatorze Saints Auxiliaires) am selben Ort. Am Nachmittag des letzten Julisonntags versammeln sich Gläubige aus Nah und Fern zu einer im Freien oder in der Dorfkirche St. Martin zelebrierten Messe, die im (Bild 1) . Anschliessend bewegt sich ein farbenfroher Prozessionszug zum Ende des Zeilendorfs und wieder zurück, wobei ein Geistlicher die an den Strassenrändern aufgestellten Motorfahrzeuge segnet. Ein Dankgottesdienst und ein kleines Volksfest beschliessen Oberlargs Nothelfertag.

Bild 2  -  Nothelfer-Reliquiare - Schwergewichte mit Lust getragen. Die schriftlichen Nachrichten gehen auf das Jahr 1804 zurück, als dem Bischof von Strassburg diese Feierlichkeit als "Festo SS. auxiliatorum" gemeldet wurde. Seit 1816 erscheint der Brauch in den Protokollen des Kirchenrats. Diese im Jahr 1745 als "APOPHASIS ECCLESIAE IN OBERLARG" angelegte Pfarreichronik blieb lange Zeit verschwunden und wurde 2009 den Archives départementales du Haut Rhin in Colmar zugeführt. Bild 3  -  Das Nothelfer-Altarbild im Chor der Martinskirche zu Oberlarg (Foto Service Régional de l'inventaire Alsace, Strasbourg). Im Lauf der Jahrzehnte ging es um den Kauf von liturgischen Gewändern und anderem Kirchengut, auch um ausstehende Lohnzahlungen, die Streichung von Brennholz für einen Pfarrer oder um verleumderische Briefe. 1876 beschloss man den Ankauf eines "Traghimmels" (baldaquin) für die Aussetzung des Allerheiligsten, das bei Prozessionen mitgeführt werden sollte. Am Beispiel des Erwerbs von zwei Kerzenleuchtern im Jahr 1885 lässt sich die damalige Situation der Bevölkerung beleuchten: Die Umgangssprache war Elsässerdeutsch, offiziell wurde französisch parliert. Die Kerzenleuchter kosteten indes 100 Mark, war doch das Elsass unfreiwillig Deutsches Reichsland. 1887 schlugen 750 Mark für den Nothelfer- und andere Altäre zu Buch. Ein noch heute mitgetragene Nothelfer-Reliquiar trägt dieselbe Jahrzahl (Bild 2).

Bild 4  -  Aus dem Bilderzyklus zur oberfränkischen Nothelfer-Legende. Undatiert ist hingegen das im 18. Jahrhundert entstandene 163 Zentimeter hohe Altarbild eines unbekannten Malers. Es zeigt in drei übereinander liegenden Reihen die zumeist mit Namenszügen und Attributen versehehen Nothelfer (intercesseurs): St. Gregor im Kampf mit dem Drachen, St. Eustach mit einem Hirsch, St. Aegidius, St. Cyriak, St. Vitus mit dem Ölkessel, St. Christophorus mit dem Jesuskind, St. Erasmus mit Ankerwinde; St. Blasius mit Bischofsinsignien, St. Pantaleon mit am Kopf angenagelten Händen, St. Achatius als Soldat mit Jesu Kreuz und Dornenkrone; St. Dionysius, der den eigenen Kopf in Händen trägt;
St. Margaretha mit Drachen, Kreuz und Schwert; St. Katharina mit zerbrochenem Rad, Schwert und Krone sowie St. Barbara, Schwert und Hostie tragend. Bild 5  -  Umschlagbild zu Pfr. Josef Klings Andachtsbüchlein (Privatbesitz) Aussergewöhnlich ist die am linken unteren Bildrand dargestellte St. Theresia mit dem göttlichen Pfeil der Liebe in der Brust als 15. Nothelferin (Bild 3). Die Funktionen der Nothelfer im Einzelnen zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Im Jahr 1917 berichtete der "Volksfreund" (Wochenblatt der Diözese Strassburg) über die am 12. August in Oberlarg begangenen Feierlichkeiten: "Trotz der Kriegszeit kamen viele Pilger und Pilgerinnen zu unserer hübschen Wallfahrtskirche, wo das Fest zu Ehren der heiligen vierzehn Nothelfer unter Aussetzung der Reliqien in glänzender Weise gefeiert wurde. Die Kirche war während des Nachmittagsgottesdientes bis auf das letzte Plätzchen gefüllt; sie war auf das geschmackvollste geziert und bot einen sehr schönen Anblick. Nach der Predigt, gehalten von Pfarrer Froberger aus [der Nachbargemeinde] Winkel, bewegte sich eine stattliche Prozession durch das Dorf, in der die Reliquien der Heiligen getragen wurden."

Bild 6  -  Als Kind ein Nothelfer-Fanion mittragen - eine Erinnerung für's ganze Leben. Der Verfasser lernte zum Teil heute noch lebende Frauen und Männer kennen, deren Erlebnisberichte in die frühen 1930er Jahre zurückführen. Die meisten von ihnen besassen oder besitzen ein 1957 in Bayern erschienenes deutschsprachiges "Andachtsbüchlein zu Ehren der hl. Vierzehn Nothelfer". Das Umschlagbild zeigt die im 18. Jahrhundert erbaute Wallfahrtskirche "Zu den Vierzehnheiligen" bei Bad Staffelfelden in Oberfranken, von wo aus sich die Nothelfer-Verehrung im 15. Jahrhundert auszubreiten begann. Diesem Kult liegt eine Legende zugrunde, nach welcher "Hermann, des Schäfers Sohn zu Frankenthal" am 24. September 1445 einem "weinenden Kindtlein mit einem roten Kreutz an seinem Hertzen" - dem Jesuskind - begegnete. Am 28. Juni 1446 wiederholte sich diese Vision, wobei 14 ähnliche Geschöpfe das Kindlein begleiteten, sich als Nothelfer bekannten und an dieser Begegnunsstätte die Errichtung einer Kapelle wünschten. (Bild 4) Das 32-seitige Heftchen ist für jene Auskunftspersonen einzige geschichtliche Quelle zum Nothelferkult geblieben und enthält den Text für eine komplette Messandacht wie auch "Verschiedene Gebete zu den Vierzehn Nothelfern" in allen Lebeslagen (Bild 5).

Bild 7 - Segnung der Motorfahrzeuge. Wie schon 1914-1918, konnten die Heiligen Nothelfer während des Zweiten Weltkriegs mehr oder weniger regelmässig gefeiert werden, was dem diplomatischen Geschick der Geistlichen zu verdanken war. Eine einstmalige Gemeindeschreiberin erinnert sich, dass sich die Besatzer hauptsächlich auf den Grenzschutz dieser abgeschiedenen Gegend konzentrierten. Den Stacheldrahtzäunen zum Trotz und mittels eines fein gesponnenen Informationsnetzes gelang jedoch vielen jungen Männern die Flucht in die nahe Schweiz, um dem Kriegsdienst für die Deutsche Wehrmacht zu entgehen. In den Erinnerungen der Befragten stand mehr das "Drumherum" im Vordergrund als das religiöse Geschenen. Die Mädchen hätten an der Prozession nur zu gerne einige der 14 Nothelfer-Fanions getragen, doch die Buben kamen ihnen meistens zuvor (Bild 6). Zudem war ein hochgewachener Junge aus dem abgelegenen Gehöft Epourbettes bevorzugter Ministrant, weil er nicht mit dem Weihrauchfass am Boden aufschlug. - In manchen Häusern gab es zur Feier des Tages festliche Gerichte, etwa mit einer üppigen Fleischsuppe, Geflügel mit Nudeln oder mit einem Kugelhopf, der sonst nur zu Weihnachten gebacken wurde. Im Anschluss an die Prozession folgten Volksbelustigungen, bei denen die Mädchen ohne Erwachsenenbegleitung nichts zu suchen hatten. Familienweise verzog man sich nach Hause, in die drei Dorfwirtschaften oder hinter die im Freien aufgestellten Tische. Bild 8  -  Der Église-Suisse an der Spitze des Prozessionszugs. Im Hintergrund der Bischof von Strassburg. Die Männer verspiesen den traditionellen Kuttelsalat, bevor sie die Hemdärmel zum Kegelspiel zurückschoben. Aus der Schweiz tauchte jeweils ein Handharmonikaspieler auf, ein Wanderschausteller zeigte seinen Affen. Das Glücksrad habe die Leute in Scharen in den Bann gezogen, und für die Kinder gab es Lakritzenrollen, auch "Bàràdràgg" (Bärendreck) genannt. Ganz allgemein wurde der Nothelfertag als willkommene Abwechslung im Jahreslauf empfunden, sei doch ausser an Feiertagen nicht viel los gewesen im Dorf. Die Aussage einer Hochbetagten, sie habe gemeinsam zum Ärger der Landwirte mit andern Mädchen aus dem hochstehenden Wiesland Margueritenblumen gesammelt und dann weiss bekleidet auf dem Prozessionsweg verstreut, löste beim Fragesteller Skepsis aus. Margueritenwiesen im Spätsommer? Gemeint war ein nicht minder festlicher Anlass - die bis in die 1970er Jahre durchgeführte Fronleichnamsprozession ("Liàb Heergottstag"), für die zwischen Kirche und Dorfausgang fünf Altäre hergerichtet worden waren.

Bild 9  -  Schweizergardist zur Zeit Papst Georgs XI. um 1700. Ein früherer Gemeindepräsident berichtete, dass sich Mitte des 20. Jahrhunderts beim Nothelferbrauch Ermüdungserscheinungen eingestellt hatten. Die jüngere Generation orientierte sich an den Fortschritten des Gesundheitswesens und nicht mehr am Andachtsbüchlein, das die Hl. Margaretha als "Helferin in Geburtsnöten" darstellt oder den Hl. Dionysius für "Kopfleiden und Gewissensängste" zuständig erklärt. Nach 1970 verlegten Gemeindevorstände und Pfarrherren den Nothelfertag auf den letzten Julisonntag. Man besann sich auf die in der Juralandschaft angesiedelte Pferdezucht, in deren Rahmen Pferdesegnungen an der Tagesordnung waren und bereits auch motorisierte Fahrhabe unter den Schutz des Hl. Christophorus gestellt wurden. Warum nicht auch in Oberlarg? Seither säumen neben den Traktoren auch Privatautos, Motorräder und sogar Kinder-Trottinetts den Prozessionsweg (Bild 7). Der Nothelfertag entwickelte sich zusehends zum Grossanlass, ohne aber den intim-ländlichen Charakter preiszugeben, und den sogar Strassburger Bischöfe mit ihrer Teilnahme beehren. Ziehen diese hohen Gäste alle paar Jahre die Aufmerksamkeit auf sich, ist es alljährlich die imposante Figur des der Prozession voranschreitenden "Kirchenschweizers" oder "Suisse d'Église" (Bild 8) . Wie auch in der südbadischen Nachbarschaft - zum Beispiel im Freiburger Münster - versahen diese Amtsträger in manchen Sundgauer Kirchgemeinden Ordnungsdienste bei kirchlichen Handlungen. Ihre historischen Vorbilder sind die im Jahr 1506 von Papst Julius II. eingeführte Schweizergarde in Rom (Bild 9), wie auch die 1497 begründete Paradetruppe der "Cent Suisses" am französischen Königshof. Bild 10  - Kirchliche Polizei-Ordnung: Einstmals Konfliktpotential Kirche-Staat, heute Folklore. Die letzten königstreuen "Gardes Suisses" fielen während des Tuileriensturms am 10. August 1792. Wie Exponate im Musée Sundgauvien in Altkirch zeigen, besteht die Amtstracht des "Suisse d'Église" aus Hose, Gilet, Mantel, Schärpe, Dreispitzhut, Hellebarde und einem knaufbesetzten Stock. Die vom Oberlarger Kirchenschweizer getragene Bekleidung ist eine Leihgabe der Nachbargemeinde Winkel. Als dort um 1934 das schlechte Benehmen der Jungmannschaft während der Gottesdienste untragbar wurde, griff man auf eine "Polizei-Ordnung der Pfarrkirche Winkel" von 1865 zurück und führte das Aufsichtsamt wieder ein (Bild 10). Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs ruhte dann das Kostüm in der Sakristei und wird seit 2007 vom Oberlarger Sakristan getragen.

Bild 11  -  Hochbetrieb in der Festküche. Im Brauchtumskalender weit über Dorfgrenzen hinaus verwurzelt, wird Oberlarg auch künftig seinen Nothelferbrauch pflegen. Seit die Gemeinde einen stattlichen Mehrzweckbau bauen liess, findet sich nach dem kirchlichen Akt Alt und Jung mit der Geistlichkeit in der "salle polyvalente" zusammen, um bei Pommes frites und "Schiffàlà" (Schweinsschulter) oder "Choucroute garnie" (Sauerkraut-Schlachtplatte) und einem reichen Kuchenbuffet den Tag ausklingen zu lassen (Bild 11). Auf einem eigens errichteten Tanzboden darf auch das Tanzbein geschwungen werden, was zur Zeit älterer Generationen nicht üblich war.

Bildlegenden:

  1. Die Vierzehn Nothelfer in Aktion: Abziehende Gewitterwolken über der Messfeier auf dem Kirchplatz von Oberlarg.
  2. Nothelfer-Reliquiare - Schwergewichte mit Lust getragen.
  3. Das Nothelfer-Altarbild im Chor der Martinskirche zu Oberlarg (Foto Service Régional de l'inventaire Alsace, Strasbourg).
  4. Aus dem Bilderzyklus zur oberfränkischen Nothelfer-Legende.
  5. Umschlagbild zu Pfr. Josef Klings Andachtsbüchlein (Privatbesitz)
  6. Als Kind ein Nothelfer-Fanion mittragen - eine Erinnerung für's ganze Leben.
  7. Segnung der Motorfahrzeuge.
  8. Der "Église-Suisse" an der Spitze des Prozessionszugs. Im Hintergrund der Bischof von Strassburg.
  9. Schweizergardist zur Zeit Papst Georgs XI. um 1700.
  10. Kirchliche "Polizei-Ordnung": Einstmals Konfliktpotential Kirche-Staat, heute Folklore.
  11. Hochbetrieb in der Festküche.
Text sowie Fotos und Reproduktionen 1-2, 4-11 von Albert Spycher-Gautschi.

Verwendete Literatur (Auswahl):
  • Claerr-Stamm Gabrielle: Les Saints guérisseurs du Sundgau, in: Découvrir le Sundgau - La médecine des hommes et des bêtes autrefois, Riedisheim 2004.
  • Klings, Pfr. Josef: Andachtsbüchlein zu Ehren der hl. Vierzehn Nothelfer, Buttenwiesen/Bayern 1957.
  • Krieg, Paul M.: Die Schweizergarde in Rom, Luzern 1960.
  • Levy, Joseph: Die Verehrung der 14 Nothelfer in der Diözese Strassburg, in: Bulletin ecclésiastique de Strasbourg 39(1920).
  • Schreiber, Georg: Die Vierzehn Nothelfer in Volksfrömmigkeit und Sakralkultur, Innsbruck 1959.
  • Spycher, Albert: Das Fest der Vierzehn Heiligen Nothelfer in Oberlarg, in: Annuaire de la Société d'histoire du Sundgau, Riedisheim 2010.
  • Weber, Heinrich: Die Verehrung der heiligen vierzehn Nothelfer, ihre Entstehung und Verbreitung, Kempten 1886.

Mit freundlicher Unterstützung von Albert Spycher-Gautschi
Titel: 14 Nothelfer in Oberlarg
Autor: Albert Spycher-Gautschi
Copyright: © by Albert Spycher-Gautschi
Bilder: Albert Spycher-Gautschi
gepostet von Albert Spycher-Gautschi am:
Date: 01.11.2012 03:28


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