Rauhnacht, Rauchnacht - Rauh- oder Rauchnächte, das war im Alpenraum früher die Zeit zwischen der Thomasnacht am 21. Dezember und dem Dreikönigstag am 6. Januar.
Später wurde sie je nach Region erweitert oder auch eingeengt.
Die Rauhnacht ein umfassendes Werk von Prof. Manfred G. Dinnes
Raunacht: Dieser Begriff bezeichnet die Tage um den Jahreswechsel. Es ist die Zeit,
wo die Nächte länger werden und führt hinüber in das neuerliche Anwachsen des
Tages. Mit der Dunkelheit beginnt das Reich von Dämonen, von elementaren
Spukgestalten, die das Schicksal der Menschen bestimmen. Wer an diesen
Schicksalsmächten rührt ist ihnen unwiederbringlich verfallen, wer jedoch mit ihnen
umzugehen versteht, dem eröffnet sich ein kleines Fenster für zukünftiges. Ihrem
Ursprung nach regeln die Raunächte die Fruchtbarkeit bei Mensch, Tier und
Pflanzenwelt. Dazwischen liegen Tabuzonen, die übergeordneten Größen zugedacht
sind und in denen keinesfalls gewisse Tätigkeiten vollzogen werden dürfen. Insofern
hat sich also seit alters her wenig geändert und beim Silvesterfeuerwerk, beim
Bleigießen oder beim Ausräuchern an Dreikönig eröffnet sich erneut dieses Fenster
der Beschwörung. Die Raunächte gehören also einem lebendigen Zeitrhythmus an,
in dem der Mensch wesentlich darauf angewiesen ist, in Sorgfalt mit dem
umzugehen, was ihn umgibt, ob Natur, Mensch oder die Zeit selbst.
Jetzt werden die Tage kürzer und der Frost klirrt an die Fensterscheiben, die mit
Eisblumen übersät sind. Draußen toben die Winterstürme - reißen Wolkengebilde im
fahlen Mondschein über den Himmel. Man rückt jetzt näher zusammen, dorthin wo
der Holzofen steht mit dem Wasserkessel, der vor sich hinsiedet. Das "Draußen" wird
unheimlich - und das beginnt vor der Türe. Das "Draußen" ist kalt und will einem ans
Leder. Wer jetzt noch draußen ist, der ist verloren. Jetzt sind die Rauhnächte. Jetzt
verlierst du Leib und Seele, wenn du nur einen Schritt zuviel wagst. Nimm dich in
acht!
"Heut is d´ Rauhnacht, wer hats aufbracht?
Drei alte Weiber und a alter Geiger
und a alter Hennafuaß,
den ma drei Tag siedn muaß.
Kropfa heraus, Kropfa heraus,
oder i stich enk a Loch ins Haus."
Zu der Zeit, wo das Jahr immer wieder neu geboren wird, wo die Tage anwachsen,
wo aber auch die Kälte zunimmt ist die Zeit des Elementaren. In dieser Zeit gewinnen
alle Dinge an Bedeutung, werden definiert als Gestalt. Die Wünsche, die Sehnsüchte
treiben die Menschen in ihre Vorstellungswelt, die sie aus sich herausschälen und
die dann plötzlich passiert. Es ist müßig, nach der Herkunft einzelner Gestalten zu
forschen. Es sind Mischwesen nicht nur von ihrer Gestalt, sondern auch ihrer
kulturellen Herkunft nach. Das Elementare ist eben nicht mehr teilbar. Der Fortgang
des Lebens selbst schreibt sich in die Gestalten, die einen unstillbaren Drang
entwickeln. So entstehen "Zwischenwelten", wie es Alfred Kubin einmal nannte. Aus
diesem Reich drängt die Lust nach dem unvorhersehbaren, die Lust der
Geschlechter, die Lust nach dem Unbekannten. Deshalb dreht sich bei den
Raunächten vieles um Weissagungen, um Zukunft, um Fruchtbarkeit. Wenn die
Schwelle überschritten wird, zeigt sich die dunkle Seite, wird hin und her verwoben,
bis eine rächende Gestalt daraus erwächst.
Wo die Rauhnächte ihren Ursprung haben, vermag niemand zu sagen. Zu oft
mussten diese Eigenheiten der eingesessenen Bevölkerung geheim gehalten
werden. Die Gestalten der Rauhnacht bilden ein Konglomerat verschiedener
Kulturkreise, so dass keine eindeutige Zugehörigkeit bestimmbar ist. Der Wald - und
damit ist der Böhmerwald gemeint, war zudem ständigem Machtwechsel ausgesetzt.
Die Angst vor Überfällen, Mordbrennern, durchziehenden Kriegsheeren und dem
Hunger war allgegenwärtig, im Wald brennt sich so etwas ins Gedächtnis ein und
bleibt über Generationen erhalten. Meine Großmutter aus Plössberg vermittelte mir
dementsprechend auch folgenden Abzählreim:
d'Schwedn san kuma,
ham alles mitgnumma,
ham d'Fenster ei'gschlogn,
ham's Blei davou trogn,
ham Kugeln draus gossen
und d'Leit ham's d'schossen
In einem Landstrich, in dem nach Jahrhunderten gezählt wird, der von
Schmugglerwegen übersät ist; in einem Land, das eigentlich dem Wald gehört,
verwundert es nicht, wenn Begriffe Gestalt annehmen. Druden überfallen ihre Opfer
im Schlaf, ersticken sie fast oder werfen sie in Alpträume. Elementargeister, wie der
Rawuzl oder die Moosweibl´n sind allerorts. Die Rauhnächte haben wahrscheinlich
deshalb am längsten überlebt, weil sie in der Fruchtbarkeitssymbolik die größte Rolle
spielen. Die Zukunft wird vorausgesehen durch Werfen von Stöcken oder Pantoffeln
über den Rücken. Die Richtung in die sie weisen, zeigt auch die Richtung, aus der
der zukünftige Partner kommt. Ebenso wird die Witterung des kommenden Jahres
vorausgesehen. Zukunft wird auch bestimmbar und im Brauch des Drei- Königs-
Räucherns in Haus und Stall hat sich dies bis heute erhalten.
Geschichten, die sich um die Raunächte ranken sind mündliche Überlieferung.
Diejenigen, die schreiben hätten können, saßen in den Klöstern oder in den
Herrschaftshäusern und die hatten an derlei Bräuchen nicht nur kein Interesse,
sondern von hier aus wurde gegen dieses "Heidentum" angekämpft. Eine der
ältesten schriftlichen Belege um die Raunächte findet sich erst um 1630 in
Rechnungsbüchern. In der Zeit der Aufklärung wurden Belege dieses Treibens zwar
gesammelt, doch je mehr man glaubte nachforschen zu müssen, desto mehr verfiel
die eigentliche Ausübung. Letztendlich stellten die Raunächte nur noch eine Art
Kindererziehungsmaßnahme dar. In der Zeit, wo alles nach dem sogenannten
"Nordischen" schrie, wurde dann versucht, in den Raunächten altes kultisches
Stammesgut zu sehen, als "Born" von "Blutsbrüdern". Heute dienen diese
Geschichten um verwegene Geister und Gestalten meist als ein touristischer
Programmpunkt. Nur an wenigen Orten haben sich Bräuche erhalten, die einfach so
beibehalten wurden, wie sie sind. Einen neuen Ansatz bildet das „Regensburger
Doana - Gsindl", das mit ihrem Spiel einen Zeitsprung wagt, um darauf hinzuweisen
dass wir im Heute und Jetzt nicht besser dran sind. Die Dämonen, von denen wir uns
ins Bockshorn jagen lassen haben nur ihre Gestalt verändert. Meine Großmutter
sagte immer zu mir als Kind: „Bua – glauben muaßt wos und wennst nix glaubst, holt
di der Deifl zwoamal“.
Sich das Gesicht mit einer Maske (arab. maschera : „Possenreißerei") zu verhüllen,
ist eine Kulturhandlung, die es von der Ur- und Frühgeschichte an bis zum heutigen
Tag überall auf der Welt gab und gibt. Ihr Ursprung liegt im Begreifen des ICH in
seiner Umgebung, bevor er diese Umgebung zu benennen vermag, d.h. mit Begriffen
versieht. An dieser Schnittstelle gewinnt das Dämonische, das Reich von Geistern,das Zwielichtige Gestalt und Gewalt. Das Hineinschlüpfen in diese Wesenheiten
kostet den Menschen Überwindung, aber es verleiht ihm Macht über das
Unbegreifliche, kann es damit überwinden oder damit umgehen. So ernst dies war,
so sehr ist darin eine spielerische Note als eine anthropologische Grundkonstante
enthalten. Denn der hinter der Maske verborgene Mensch konnte und musste stets
mitgedacht werden, immer war er präsent, wenn die Verwendung der Maske auch
spirituellen Handlungen vorbehalten war, die sich etwa in rituellen Tänzen vollzogen.
Doch ist die Idee, sich mittels einer Maske als ein anderes Wesen, als ein anderer
Mensch auszugeben von einer derart eminenten kulturhistorischen Bedeutung, dass
wir darin eine Urverhaltensform des „homo ludens" erblicken dürfen, wie wir sie
heute im kindlichen Spiel noch beobachten können. Und natürlich nimmt von hier der
Gedanke des Theater-„Spielens" seinen Ausgang. Bis heute, da wir nicht mehr (oder
mindestens weit weniger) an Geister und Dämonen glauben, „funktioniert" dieser
erstaunliche Effekt, den Masken bewirken. Jeder kann ihn erleben, der einem
Perchtenlauf zusieht: Die Masken haben etwas so Unabweisliches,
Unwiderstehliches, dass wir bei der direkten Begegnung in eine emotionale
Verwirrung geraten, die zwischen Heiterkeit und Schaudern, wenn nicht gar offener
Angst pendelt; und dies trotz des Wissens, dass hinter den Masken ganz gewiss
hochanständige Menschen stecken. Die Maske ist ein Gegenstand, der uns, über
alle zivilisatorischen und kulturellen Entwicklungen hinweg, klar macht, dass wir eng
verwandt sind mit unseren Gattungsgenossen der Urgeschichte ...
Inhalte mit freundlicher Erlaubnis von
Prof. Manfred G. Dinnes
ATELIER & GALERIE
St. Johann
D - 93 102 Pfatter
Web: http://www.dinnes.net
Hinweis:
Ich möchte ihnen die Theatercompanie „Rauhnacht“ vorstellen.
Diese Inszenierung der „Rauhnacht“ ist dem großen Oberpfälzer Volkskundler Franz Xaver von Schönwerth gewidmet, dessen 200. Geburtstag 2010 gefeiert wird.
Mehr über die Theatercompanie finden sie auf der Seite
www.theatercompanie.eu/
der „Theatercompanie“
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